Hinweise auf tektonische Aktivität auf der Venus
Redaktion
/ Pressemitteilung der Universität Bern astronews.com
20. Mai 2025
Unser Nachbarplanet Venus könnte unter der Oberfläche
tektonisch aktiver sein als gedacht: Eine neue Studie kommt nach einer
Auswertung von Daten der NASA-Venussonde Magellan zu dem Schluss, dass sich die
Entstehung vieler der zahlreichen Coronae auf der Venusoberfläche auf
tektonische Prozesse zurückführen lassen könnte. Ist die Venus also tektonisch
gar nicht tot?

Diese Illustration der großen Quetzalpetlatl-Corona
auf der Südhalbkugel der Venus zeigt eine Subduktionszone, in
der die vordere Kruste am Rand der Corona in das Innere des
Planeten eintaucht.
Bild: NASA / JPL-Caltech /
Peter Rubin [Großansicht] |
Die Venus, unser nächster Nachbarplanet, weist viele Ähnlichkeiten mit
unserem eigenen Planeten auf, aber auch große Unterschiede. Geologisch gesehen
zeichnet sich die Venus durch das Fehlen der globalen Plattentektonik aus, die
für die Formung und Erneuerung der Erde so wichtig ist. Neue Erkenntnisse eines
Forschungsteams unter der Leitung von Dr. Anna Gülcher vom Center for Space and
Habitability (CSH) der Universität Bern und dem Nationalen Forschungsschwerpunkt
(NFS) PlanetS stellen jetzt die ursprünglich akzeptierte Vorstellung in Frage,
dass die Venus seit langer Zeit tektonisch inaktiv ist.
Darüber hinaus würden die vorgeschlagenen tektonischen Mechanismen die
Entstehung der zahlreichen Coronae erklären, die auf der Venusoberfläche zu
sehen sind. Das Team fand heraus, dass die meisten Coronae mit Regionen mit
dünnerer Planetenkruste in Verbindung stehen. Sie vermuten, dass Blasen aus
heißem Mantelmaterial aufsteigen und die Venuskruste in den Coronae-Regionen
aufblähen und an vielen Stellen den Rand dieser Regionen dazu zwingen, sich
unter das Innere zu schieben, ähnlich wie es bei der plattentektonischen
Subduktion auf der Erde geschieht.
Das Team verwendete für die Studie Daten der NASA-Raumsonde
Magellan, die zwischen 1990 und 1994 die Venus untersuchte. Insbesondere
konzentrierte sich das Forschungsteam auf eine Art von Oberflächenstruktur, die
es auf der Erde nicht gibt, die aber auf der Venus häufig vorkommt: Coronae.
Diese Strukturen sind meist kreisförmig oder eiförmig und zeichnen sich durch
einen Kranz von Verwerfungen und Brüchen aus, die ihre eigentümliche Form
erzeugen. Zunächst analysierte das Team die Radarbilder der Oberfläche in
Kombination mit topografischen Daten neu und fand Hunderte von Coronae mehr als
zuvor identifiziert. Insgesamt wurden nun 740 Coronae identifiziert. Im
Durchschnitt haben diese einen Durchmesser von 220 Kilometern.
"Wir haben uns auf die 75 größten Coronae konzentriert, da dies die einzigen
sind, bei denen die Schwerkraftdaten gut genug aufgelöst sind, um sie im Detail
zu untersuchen", erklärt Gülcher. "Die von uns untersuchten Coronae haben einen
Durchmesser von 350 Kilometern bis hin zu 2500 Kilometern – letzteres entspricht
der Fläche der USA von Norden nach Süden oder der Hälfte der Fläche Europas."
Das Team untersuchte dann die Position der 75 Coronae und stellte fest, dass
zwei Drittel von ihnen mit leichten Störungen der von der Raumsonde Magellan
erfassten Schwerkraftdaten verbunden sind. Die aufgezeichneten Störungen deuten
auf die Dichte der Lithosphäre hin und stimmen mit thermischen Auftriebsströmen
von heißem, schwimmfähigem Material überein, das unter der Planetenkruste
aufsteigt.
"Coronae gibt es heute auf der Erde nicht, aber es könnte sie gegeben haben,
als unser Planet noch jung war und bevor sich die Plattentektonik herausgebildet
hat", vermutet der Hauptautor der Studie, Gael Cascioli, wissenschaftlicher
Mitarbeiter an der University of Maryland in Baltimore County und am
Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt. "Durch die
Kombination von Schwerkraft- und Topographiedaten gibt unsere Forschung einen
neuen und wichtigen Einblick in die möglichen unterirdischen Prozesse, die
derzeit die Oberfläche der Venus formen."
Die Computersimulationen des Teams zeigen, wie sich die großen Coronae auf
der Venus wahrscheinlich bilden. "Es beginnt damit, dass sich Material im
Inneren der Venus erwärmt", erklärt Gülcher. "Das erwärmte Material steigt dann
durch den Erdmantel in einem sogenannten Plume auf, der sich unter den Coronae
befindet. Durch diesen Auftrieb entsteht eine tektonische Dynamik, die zu der
eigentümlichen Form führt." Näher an der Oberfläche wird das erwärmte Material
geschmolzen und hebt die Oberfläche der Corona im Vergleich zu ihrer Umgebung an
und dehnt sich radial aus, wodurch der Durchmesser wächst. In vielen Fällen
stößt das nach außen drängende Material mit der umgebenden Kruste zusammen,
wodurch ein Gebirgsring am Rand der Corona entsteht. Der verdickte Krustenring
kann schließlich von unten abreißen und in das Innere des Planeten tropfen.
Alternativ kann, wie bei der Plattentektonik auf der Erde, die kältere umgebende
Kruste unter das wärmere Innere abtauchen, wodurch die charakteristischen
Verwerfungen und engen Vertiefungen entstehen, die viele Coronae umgeben.
Es gibt jedoch einen großen Unterschied zu den bekannten plattentektonischen
Prozessen auf der Erde: Auf der Venus gibt es kein globales Netzwerk der
Subduktion. "Die Hypothese der Subduktion auf der Venus wurde von der
wissenschaftlichen Gemeinschaft bereits in den neunziger Jahren nach der ersten
Analyse der Magellan-Daten formuliert", betont Gülcher. Diese Theorie erhielt im
Jahr 2020 neuen Auftrieb, als Gülcher die ersten erfolgreichen dreidimensionalen
Computersimulationen solcher tektonischer Prozesse auf der Venus durchführte und
dabei viele beobachtete Coronae erfolgreich reproduzierte. Das Phänomen wurde
zwar schon seit Jahrzehnten vermutet, aber die Kombination von topografischen
Daten und Gravitationsdaten mit diesen Computersimulationen ist wohl der
stärkste Beweis für die Theorie.
Dennoch erklären diese Prozesse nur einen Teil der 75 Coronae. Die Subduktion
ist einer der vier vom Team identifizierten Prozesse, zu denen auch das
Krustenrecycling am Rand der Corona gehört, während die beiden anderen Prozesse
durch ein einfaches Magmareservoir gekennzeichnet sind, das die Kruste durch
kreisförmige Bruchmuster und Vulkanismus beeinflusst.
Um die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Coronae weiter zu
erforschen, werden Daten mit höherer Auflösung benötigt. Dies wird dank mehrerer
Sonden möglich sein, die Anfang der 2030er Jahre gestartet werden sollen:
EnVision, unter der Leitung der europäischen Weltraumorganisation ESA und
VERITAS, unter der Leitung der NASA. Ein Schweizer Konsortium ist an der ersten
Mission beteiligt, indem es zum Instrument VenSpec-H beiträgt, das die
atmosphärischen Gase der Venus analysieren wird, um vulkanische Aktivitäten, das
Klima und die Wechselwirkungen zwischen Oberfläche und Atmosphäre zu
untersuchen. Von besonderer Bedeutung für diese Studie ist, dass sowohl VERITAS
als auch EnVision die Schwerkraftdaten der Venus in viel höherer
Auflösung als derzeit verfügbar messen werden. "Die höhere Auflösung des
Schwerefeldes wird uns in die Lage versetzen, eine ähnliche Studie an Hunderten
von kleineren Koronen durchzuführen", so Gülcher, die zum Wissenschaftsteam
beider Missionen gehört.
Die Studie wurde in Science Advances veröffentlicht.
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