Die Struktur von flüssigem Kohlenstoff
Redaktion
/ Pressemitteilung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf astronews.com
3. Juni 2025
Ein internationale Forschungsteam hat für Messungen von
Materie unter extremem Druck erstmals den Hochleistungslaser DIPOLE 100-X am
European XFEL eingesetzt. Bereits in diesem ersten Experiment gelang die
Untersuchung von flüssigem Kohlenstoff, der sonst nur im Inneren von Planeten
vorkommt und im Labor praktisch nicht untersucht werden kann.

Forschende konnten erstmals flüssigen
Kohlenstoff experimentell messen. Dafür kombinierten sie einen
Hochleistungslaser mit dem ultrakurzen Röntgenlaserblitz des
European XFEL.
Bild: HZDR / M. Künsting [Großansicht] |
Flüssiger Kohlenstoff kommt zum Beispiel im Inneren von Planeten vor und
spielt eine wichtige Rolle für Zukunftstechnologien wie die Kernfusion. Bisher
war allerdings nur sehr wenig über Kohlenstoff in flüssiger Form bekannt, denn
im Labor war dieser Zustand praktisch nicht fassbar: Bei Normaldruck schmilzt
Kohlenstoff nicht, sondern geht direkt in einen gasförmigen Zustand über. Erst
unter extremem Druck und bei Temperaturen von etwa 4.500 Grad Celsius – dem
höchsten Schmelzpunkt eines Materials überhaupt – wird Kohlenstoff flüssig. Kein
Behälter würde dem standhalten. Laserkompression hingegen kann festen
Kohlenstoff für Bruchteile von Sekunden verflüssigen. Diese Sekundenbruchteile
gilt es für Messungen zu nutzen. Am European XFEL in Schenefeld bei Hamburg, dem
weltgrößten Röntgenlaser mit seinen ultrakurzen Pulsen, ist dies heute in bisher
unvorstellbarer Weise möglich.
Entscheidend für den Messerfolg war die einzigartige Kombination des European
XFEL mit dem Hochleistungslaser DIPOLE100-X, der vom britischen Science and
Technology Facilities Council entwickelt wurde und durch das
HIBEF-Nutzerkonsortium (Helmholtz International Beamline for Extreme Fields)
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt zur Verfügung gestellt
wird. Eine Gemeinschaft international führender Forschungseinrichtungen hat an
der Experimentierstation HED-HIBEF (High Energy Density) des European XFEL nun
erstmals die leistungsstarke Laserkompression mit der ultraschnellen
Röntgenanalytik und großflächigen Röntgendetektoren zusammengebracht.
Im Experiment treiben die hochenergetischen Pulse des DIPOLE100-X-Lasers
Kompressionswellen durch eine feste Kohlenstoffprobe und verflüssigen das
Material für Nanosekunden, also für den milliardstel Teil einer Sekunde.
Innerhalb dieser Nanosekunde wird die Probe mit einem ultrakurzen
Röntgenlaserblitz des European XFEL beschossen. Die Atome im Kohlenstoff lenken
das Röntgenlicht ab – ähnlich wie Licht an Gitter gebeugt wird. Das
Beugungsmuster erlaubt Rückschlüsse auf die momentane Anordnung der Atome im
flüssigen Kohlenstoff. Ein Experiment dauert zwar nur ein paar Sekunden, wird
aber vielfach wiederholt: Jedes Mal mit einem leicht zeitversetzten Röntgenpuls
oder unter leicht veränderten Druck- und Temperaturbedingungen. Aus vielen
Schnappschüssen entsteht schließlich ein Film. So konnten die Forschenden den
Übergang zwischen fester und flüssiger Phase Schritt für Schritt nachvollziehen.
Die Messungen ergaben: Mit je vier nächsten Nachbarn folgt flüssiger
Kohlenstoff einer ähnlichen Systematik wie fester Diamant. "Das ist das erste
Mal überhaupt, dass wir die Struktur von flüssigem Kohlenstoff experimentell
beobachten konnten. Unser Experiment bestätigt Vorhersagen aus aufwändigen
Simulationen von flüssigem Kohlenstoff. Es handelt sich eher um eine komplexe
Form einer Flüssigkeit, ähnlich wie Wasser, das auch ganz besondere strukturelle
Eigenschaften besitzt", erklärt der Leiter der "Carbon Working Group" innerhalb
der Forschungskollaboration, Prof. Dominik Kraus von der Universität Rostock und
dem HZDR. Auch den Schmelzpunkt konnten die Forschenden genau eingrenzen.
Bislang wichen die theoretischen Vorhersagen für Struktur und Schmelzpunkt stark
voneinander ab. Ihre genaue Kenntnis ist aber entscheidend für Planetenmodelle
und bestimmte Konzepte zur Energiegewinnung durch Kernfusion.
Mit dem ersten DIPOLE-Experiment am European XFEL hat gleichzeitig eine neue
Ära für die Messung von Materialien unter Hochdruck begonnen, wie Dr. Ulf
Zastrau, HED-Gruppenleiter, betont: "Wir haben jetzt die Toolbox, um Materie
unter sehr exotischen Bedingungen in unfassbarem Detail zu charakterisieren."
Und das Potential des Experiments ist noch lange nicht ausgeschöpft. Künftig
könnten die Ergebnisse, die aktuell mehrere Stunden Experimentierzeit benötigen,
in wenigen Sekunden vorliegen – sobald die komplexe automatische Steuerung und
Datenverarbeitung schnell genug arbeiten.
Die Ergebnisse des Teams wurden nun in einem Fachartikel veröffentlicht, der
in der Zeitschrift Nature erschienen ist.
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